Öffnen mit Sicherheit nach Tübinger Vorbild:
Corona-Modellprojekt für Sindelfingen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Die FDP-Fraktion im Gemeinderat Sindelfingen stellt folgenden Antrag:


1.
Die Stadt Sindelfingen beantragt beim Land Baden-Württemberg die Genehmigung,
einen Modellversuch für Öffnungen nach dem „Tübinger Modell“ durchzuführen,
sobald die Inzidenzwerte dies ermöglichen.


2.
Die Stadtverwaltung wird beauftragt, soweit noch nicht erfolgt, die Voraussetzungen
für die Umsetzung eines Modellversuchs nach Tübinger Vorbild
(Schnelltestinfrastruktur etc.) in Sindelfingen zu schaffen.


Begründung:


Seit einem Jahr befinden sich Gastronomie, Sport und Kultur sowie viele Branchen im
Dienstleistungssektor im totalen Lockdown. Landes- und Bundesregierung verwehren
ihnen bis zum heutigen Zeitpunkt jedwede Öffnungsperspektive.
Auch dem Einzelhandel
fehlt seit einem Jahr trotz vereinzelter Phasen der Öffnung unter Auflagen Planbarkeit und
dauerhafte Perspektive. In Sindelfingen stehen aufgrund der Lockdown-Politik von Land
und Bund und der mit ihr einhergehenden Perspektivlosigkeit Existenzen auf dem Spiel.
Gastronomie, Kultur, Sport prägen das Gesicht unserer Stadt – doch allmählich wird der
permanente Lockdown für diese Lebensbereiche auch in unserer Stadt zum
„Knockdown“, wenn ihnen nicht alsbald eine Öffnungsperspektive gewährt wird. Gerade
Sindelfinger Kultureinrichtungen, Sportstätten, Bäderbetriebe und Gastronomiebetriebe
verfügen über Hygienekonzepte, die verantwortungsvolle Öffnungen zulassen, und
werden dabei von einer Lockdown-Politik aus Stuttgart und Berlin ausgebremst und in
ihrer Existenz bedroht. Es ist Zeit, kommunale Handlungsspielräume zu nutzen.

Die Stadt Tübingen hat mit ihrem Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ gezeigt, dass es
möglich ist, trotz anhaltender Corona-Pandemie verantwortungsvoll wichtige Teilbereiche
des täglichen Lebens zu öffnen. Dort können mit einem Corona-Schnelltest getestete
Personen zeitlich begrenzt am regulären gesellschaftlichen Leben (Gastronomie, Theater-,
Kino- und Kulturveranstaltungen, Sport- und Bäderbetrieb, Einzelhandel und mehr)
teilnehmen. Hierzu richtete die Stadt in Zusammenarbeit mit privaten
Betreiberunternehmen Schnellteststationen ein, die allen Bürgerinnen und Bürgern zur
Verfügung stehen. Im Falle eines negativen Testresultats erhalten Bürgerinnen und Bürger
einen Ausweis („Tagesticket“), der diesen negativ getesteten Personen die Nutzung von
Gastronomie-, Kino-, Kultur- und Sportangeboten ermöglicht. Zur Generierung
empirischer Daten zum Corona-Infektionsgeschehen hat das Sozialministerium diesen
Modellversuch vorab nach Schreiben des Tübinger Oberbürgermeisters Palmer
genehmigt. Die gewonnenen Daten und Erkenntnisse über das Infektionsgeschehen
während des Öffnungsmodells werden parallel wissenschaftlich durch das
Universitätsklinikum Tübingen überwacht und eingeordnet.


Dieses Modellprojekt lässt sich unserer Einschätzung nach auf Sindelfingen übertragen –
zumindest, wenn die derzeit hohen Inzidenzzahlen im Laufe der nächsten Tage und
Wochen sinken sollten. Uns sind keine organisatorischen Hürden in Sindelfingen bekannt,
die gegen den kurzfristigen Aufbau einer Infrastruktur an Schnellteststationen im
Stadtgebiet sprechen. Dort könnten „Tagestickets“ nach Tübinger Vorbild ausgegeben
werden. Gastronomiebetriebe, Sport- und Bädereinrichtungen, Handelsunternehmen
könnten öffnen; Kultur-, Theater- und Kinoveranstaltungen stattfinden und Erkenntnisse
über das Infektionsgeschehen in unserer Stadt gewonnen werden. Das Klinikum
Sindelfingen-Böblingen ist ein akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen,
hier könnte parallel zum Modellversuch eine wissenschaftliche Studienbegleitung
stattfinden. Die so in unserer Stadt gewonnenen Forschungsergebnisse über die
Verbreitung des Corona-Virus könnten einen wichtigen Beitrag bei der Entwicklung von
Strategien leisten, wie künftig ein Leben „mit dem Virus“ ohne permanente Shutdowns
ganzer Branchen organisiert werden kann.


Aufgrund ihrer Größe (65.000 Einwohner) und ihres vielfältigen „Branchenmixes“ eignet
sich die Stadt Sindelfingen unserer Einschätzung nach gut als Beispiel, um
verantwortungsvolle Öffnungen unterschiedlicher Lebensbereiche trotz Pandemie im
Rahmen eines Modellversuchs nach dem „Tübinger Weg“ zu ermöglichen, sobald das
Infektionsgeschehen en moderateres Niveau erreicht.


Jüngst haben sich 50 Kommunen im Land, darunter beispielsweise die Städte
Ludwigsburg, Singen oder Neckarsulm beim Land beworben (einige Wochen zuvor auch
bereits der Landkreis Böblingen). Das Sozialministerium hat mit Pressemitteilung vom 1.
April auf die auf Gewährung eines Modellprojekts nach Tübinger Vorbild Anträge von 50
Gemeinden im Land verlautbaren lassen, dass es diese aufgrund des momentan hohen
Infektionsgeschehens vorerst zurückstelle. Dies sollte die Stadtverwaltung aber bei der
Antragstellung keineswegs entmutigen. Das Sozialministerium kündigte in selbiger
Pressemitteilung nämlich an, die betreffenden Anträge wieder in den Blick zu nehmen,
sobald die Infektionszahlen dies zuließen. Unserer Meinung sollte daher gerade jetzt die
Zeit hoher Inzidenzwerte genutzt werden, um die Voraussetzungen für Öffnungen nach
dem Tübinger Modell in Sindelfingen zu schaffen, ein überzeugendes Konzept für den
Modellversuch vorzubereiten und schon jetzt eine entsprechende Interessenbekundung
beim Sozialministerium zu hinterlegen. So steigern wir durch gute und frühe Vorbereitung
unsere Chance, bei Eintreten eines moderateren Infektionsgeschehens zu denjenigen Kommunen zu zählen, denen seitens des Sozialministeriums schnell weitreichende
Öffnungen auf Modellbasis gewährt werden.

Sindelfingen stünde eine von der Verwaltungsspitze ausgehende Bemühung,
Gastronomie, Sport, Kultur und weiteren Branchen in unserer Stadt verantwortungsvoll
und wissenschaftlich begleitet eine Öffnungsperspektive zu gewähren, gut zu Gesicht.


gez.

Reinhardt, Knapp, Dr. Beyer, Dr. Baisch

FDP-Fraktion